• Journalismus und Einblicke zweier Kulturen...

    El Popular; ein populäres Restaurant

    Im Herzen des Touristenviertels von La Paz gelegen, in der beliebten Straße Murillo Nr. 826 zwischen den steil ansteigenden Straßen Sagárnaga und Santa Cruz, könnte man dieses junge Restaurant durchaus als den amerikanischen Westen bezeichnen. Besonders in den Zeiten des Goldrausches und bei den Touristen, die nach Bolivien kommen. Alle, oder besser gesagt, alle Jugendlichen wollen hier einkehren, um sich über den Gaumen einen Eindruck von der bolivianischen Küche zu verschaffen. Die Fusionsgastronomie ist das neue Tourismusjuwel auf amerikanischem Boden.

    Wir wissen, dass alles in Peru und seiner neuen Küche angefangen hat, die die kulturelle Vielfalt dieses Landes rettet und zu einer kulinarischen Marke in der Welt geworden ist. Von da an folgte eine expansive Welle, die 2012 mit dem Melting Pot Bolivia des dänischen Geschäftsmannes Claus Meyer „mit dem Ziel, einen nachhaltigen Prozess der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung durch die Gastronomie zu fördern“, auch Bolivien erreichte. Damals wurde das Restaurant Gustu eröffnet. Die Idee war, bolivianische Geschmäcker zu erkunden und die biologische Vielfalt seiner Produkte und Kulturen zu verbreiten. Zu diesem Zweck wurden bis zum heutigen Zeitpunkt drei Projekte durchgeführt: die Gustu-Schule, das Manq’a-Projekt und Suma Phayata. Dies sind Zentren für die Aufwertung des „Bolivianischen“ im gastronomischen und kulturellen Bereich, für Berufsausbildung und Schulung, insbesondere für Jugendliche aus benachteiligten Bevölkerungsschichten. Warum spreche ich eigentlich über Melting Pot Bolivia und das Restaurant Gustu, wenn mein Thema das Restaurant El Popular ist? Der Grund dafür ist, dass schließlich alles einen Ursprung hat, und dass das privat geführte Restaurant El Popular von dem gesamten Prozess beeinflusst wird, der von Melting Pot Bolivia initiiert wurde: Juan Pablo Reyes und Diego Rodas, beide Küchenchefs und zwei der drei Partner von El Popular. Sie leiteten die Küche des Restaurants ONA des Hotels Atix in La Paz; ein weiteres Projekt, das für die Aufwertung des „Bolivianischen“ steht.

    Zeit für berufliche Reife und der Moment für ein eigenes Projekt: Das Restaurant El Popular (eigentlich Popular Cocina Boliviana) wurde im November 2017 eröffnet und zielt darauf ab, alle zu überzeugen, denn die Preise sind erschwinglich und sein Konzept weckt Neugier. Die Menüs wechseln alle drei Tage. Die Mittagessen sind dreigängig: Vorspeise (Salat oder Suppe), Hauptgericht und Dessert. Alles für 45 Bolivianos und wie für ein Foto angerichtet (sicherlich hat die dritte Partnerin, die Fotografin Alexandra Meleán, etwas mit der dekorativen Präsentation der Gerichte zu tun). Eine Fusionsküche der Aromen und Farben; eine Inszenierung. Kochen als Show.

    Auf den ersten Blick sind 70 Prozent der Gäste junge Ausländer (man muss bedenken, dass das Viertel das touristische Zentrum der Stadt ist) und der Rest sind Bolivianer, unter diesen öffentliche Angestellte, Bankiers und die ein oder Gruppe aus dem südlichen Teil der Stadt, die gerne die touristischen Neuheiten der Stadt besuchen oder diese ihren Besuchern zeigen. Kurz vor Karneval sahen wir eine ehemalige hochrangige Beamtin der bolivianischen Botschaft in Deutschland zusammen mit einer Gruppe von Freunden das Restaurant verlassen. Die Diplomatie nähert sich nicht nur dem Ort, sondern auch umgekehrt: Einige formelle Abendessen, die in den diplomatischen Vertretungen in La Paz organisiert werden, werden von den Meisterhänden des El Popular mit seinem Fusionsmenü und Personal bedient. El Popular am Tisch des Botschafters. Wie gesagt: Die Fusionsgastronomie ist das neue Juwel des Tourismus auf amerikanischem Boden und natürlich ein freudiges Gesprächsthema zum Nachtisch. Ein süßes und denkwürdiges Dessert.

    El Popular befindet sich im oberen Teil eines alten Herrenhauses aus dem beginnenden 20. Jahrhunderts, das mit der Zeit zu einem conventillo wurde. Die wenigen formalen Arbeitsmöglichkeiten im Land haben dazu geführt, dass viele auf Gastronomie im Dienste des Tourismus setzen, was auch in diesem alten Herrenhaus auffällt, in dessen ehemaligen Innenhof sich heute ein Food-Court befindet mit einer Pizzaria, einem Hamburger-Restaurant sowie einer Cafetería mit internationalem Menü.

    Im Gegensatz zu anderen Restaurants ist El Popular nur von Montag bis Samstag geöffnet und bietet nur Mittagessen an. Es ist ratsam, bis 12:00 Uhr vor Ort zu sein, da telefonische Reservierungen nicht akzeptiert werden und viele Gäste vor der Tür stehen. Warten und die Vorfreude auf ein besonderes Erlebnis, kein Massenprodukt, ist Teil der Attraktivität des Besuchs. Die Mitarbeiter sind sehr jung und äußerst freundlich. Es gibt zwei Schichten für das Mittagessen und das junge Personal bietet typische bolivianische Getränke an, um das Warten unterhaltsam zu gestalten. Wir bekamen Mais-Chicha aus den tiefen valles, allerdings sahen wir auch, dass andere Gäste Craft Beer tranken, während wir auf dem Balkon standen und darauf warteten, in der zweiten Schicht, für die wir uns angemeldet hatten, einen Tisch zu bekommen.

    Viele Leute lieben diesen Ort. Nur wenige Tische (das erklärt die Schichten) und die Aufwertung selbst der auf dem Tisch stehenden Utensilien: Steingutgeschirr, das momentan mit dem Ländlichen assoziiert wird, und Plastikteller, die heute auf den gemeinen bolivianischen Tischen üblich sind. Die offene Küche, in der man mehr als ein halbes Dutzend Köche und Assistenten sehen kann. Die Mitarbeiter identifizieren sich mit dem Lokal und demonstrieren ihren Slogan und ihr Festhalten an den Andenfarben, auch wenn es im Falle der Frauen nur Haarbänder sind. Alles in allem etwas für die Sinne und die Unterhaltung bei Tisch.

    An jenem Tag wurde unser Menu von zwei Knollen dominiert: der Kartoffel, dem andinen Klassiker, und Roter Beete. Als Vorspeise bekamen wir eine Neuinterpretation des K´allu Cochabambino, ein Gericht, das Mais, gebackene Cherrytomaten, festes Kartoffelpüree in Form einer Tortilla und Würfel mit exotischen lokalen Geschmacksrichtungen kombiniert. Darin konnte ich die geschmacksstarke Quirquiña (Porophyllum ruderale) herausschmecken, eine Art bolivianischer Koriander, vielleicht war es aber auch Huacatay (Tagetes minuta), ein Kraut bolivianisch-peruanischen Ursprungs, das sogar in den Vereinigten Staaten angebaut wird und auch in der französischen Gastronomie in Mode gekommen ist. Wir waren sehr zufrieden mit dem Gericht, ohne sein Geheimnis entdeckt zu haben. Die Suppe hingegen machte unseren jungen deutschen Begleiter nicht glücklich: Ihre Basis waren Engelshaare (bitte, nichts Exotisches, lasst uns einfach auf die italienischen Capelli d’angelo verweisen) aus Roter Beete in einer Suppe mit undefinierbarem Geschmack. Als Hauptgericht wählten wir die beiden Optionen des Tages: Chicharrón de pollo, der in seiner Präsentation von den Anden inspiriert zu sein schien (und alle sehr glücklich machte) und das Fricasé de Cerdo, was sehr lecker war. Die Sauce verriet allerdings Karotten und das ließ bei denjenigen, die den traditionellen Geschmack dieses in Bolivien so geschätzten Gerichts kennen, große Zweifel aufkommen. „Autorenküche“ eben, wie sie ihren Vorschlag gerne definieren.

    Nun zum Absacker und dazu möchte ich auf Michel Houellebecq und seine Wertschätzung für diese Art von kulinarischen Erfahrungen eingehen: „Diese Restaurants wären ansonsten erträglich gewesen, wenn die Kellner nicht die Manie gehabt hätten, die Komposition der kleinsten Vorspeise mit dem verschlungenen Ton einer halb gastronomischen und halb literarischen Betonung zu deklamieren, um bei dem Gast für eine gewisse Komplizenschaft oder zumindest Interesse zu sorgen, um, so stelle ich mir vor, das Essen in ein entspanntes gemeinsames Erlebnis zu verwandeln, so dass nur die Art und Weise, wie er „Guten Appetit“ wünschte, am Ende seiner Sybarit-Ansprache ausreichten, um mir den Appetit zu nehmen“. Ich erinnerte mich an die Reflexion des Franzosen in Serotonina in dem Moment, als ich vor meinem Teller saß und die Präsentation der einzelnen Gerichte im El Popular anhörte. Die Show ist die große Ader der Fusionsgastronomie und scheint zweifellos in der Bevölkerung Akzeptanz zu finden.

     

    Teresa Torres-Heuchel
    Übersetzung: Antje Linnenberg

     

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